Klinikpfarrerin Eva Lorenz geht in den Ruhestand
„Meine Rolle war es nicht, diejenige zu sein, die mit der Antwort kommt. Ich wollte mit offenem Ohr und offenem Herzen Menschen ermöglichen, über das zu sprechen, was sie belastet und was sie trägt.“ Sie hat erlebt, wie Menschen mit ihrem Leid und Schmerz umgehen, nach Sinn darin fragen und sich selbst Antworten geben, die eine Seelsorgerin gar nicht für sie geben kann. „Es war beeindruckend, wie Kranke und Sterbende selbst ihren Weg durch Schmerz und Leid finden, wenn dafür ein Raum unter den Augen Gottes da ist.“ Ganz tiefe Gespräche über das „Woher und Wohin“ habe sie geführt.
Gespräche mit Patienten und Angehörigen
Wenn eine Seelsorgerin kommt, ist das Thema sofort mit im Raum, selbst wenn die Patienten und Patientinnen nicht religiös geprägt sind, sagt Eva Lorenz. Klinikseelsorgende haben Zeit für persönliche Gespräche mit Patientinnen und Patienten und - wenn gewünscht - mit Angehörigen.
Ihren Berufsweg begann sie als Vikarin in Annerod und später auf der ersten Pfarrstelle in der Gießener Wicherngemeinde. Nach der Geburt ihrer beiden Töchter nahm sie eine mehrjährige Familienzeit. Als sie in der Klinikseelsorge im Gießener St. Josefskrankenhaus und im Uniklinikum begann, hatte ein Umdenken eingesetzt. Weil es um Leib und Seele der Patientinnen geht, wurden Klinikseelsorgerinnen in die Arbeit der neu entstandenen multiprofessionellen Teams der Geriatrie und der Palliativversorgung einbezogen. Deren Ziel ist es, die Lebensqualität und die Würde der Patienten und Patientinnen zu erhalten, auch wenn keine Heilung mehr möglich ist.
„Was brauchen die Patienten in ihrer konkreten Situation und wie können sie gut - auch am Lebensende - begleitet und betreut werden?“ Diese Frage trat in den Vordergrund und wurde nun gemeinsam von Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden, der Psychologin, Krankengymnastinnen, der Musiktherapeutin, der Hospizkoordinatorin und auch der Seelsorgerinnen besprochen.
Seelsorgerin auch für Mitarbeitende
Eva Lorenz hat es ausgesprochen Freude gemacht, diesen Prozess mitzugestalten. Auf der Internetseite der Palliativstation im Universitätsklinikum wird sie wie selbstverständlich als Teil des Teams vorgestellt. Die Pflege Leidender und Sterbender ist nicht nur fachlich anspruchsvoll, sondern auch seelisch belastend, weiß die Pfarrerin. Immer wieder war sie nicht nur Seelsorgerin für Patienten und Angehörige sondern auch für die Mitarbeitenden.
In den zurückliegenden Jahren gerieten die Krankenhäuser zunehmend unter wirtschaftlichem Druck. Die Belastungen für das Personal stiegen. Hohen Respekt empfindet die Seelsorgerin für die Mitarbeitenden, die sich trotz des Drucks zutiefst menschlich gegenüber den ihnen anvertrauten Patientinnen und Patienten verhalten. „Wo das geschieht, ist Gott am Werk“, erklärt die Pfarrerin.
Belastungen in der Pandemie
Zur zusätzlichen Belastungsprobe wurde auch die Corona-Pandemie. „In den letzten eineinhalb Jahren habe ich eine enorme menschliche und fachliche Leistung gespürt.“ Vor allem das Pflegepersonal musste Mehrarbeit leisten. Sie hatten nicht nur die Kranken zu versorgen, sondern vermittelten zwischen Patienten und Besuchern, die nicht ins Gebäude durften, und trugen Taschen mit Wäsche oder anderen Dingen durchs Haus. Die Sorge, bei allen Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen, Patienten oder auch eigene Familienangehörige mit dem Corona-Virus anzustecken, belastete das Personal wie die Seelsorgerin - trotz früher Impfungen - gleichermaßen.
Im Gießener Uniklinikum finden Patienten und Besucher seit zehn Jahren eine Kapelle im Erdgeschoß des Neubaus. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde in den einzelnen Häusern des Krankenhauses Gottesdienst gefeiert. Eva Lorenz hat die Planung und die künstlerische Gestaltung gemeinsam mit den Verantwortlichen des Klinikums begleitet. „Die Rhön-Klinikum-AG wollte eine Kapelle für beide christlichen Kirchen. Der muslimische Gebetsraum entstand erst später.
Kapelle ist ein Rückzugsort
Die Kapelle ist ein Gottesdienstort, aber auch ein Rückzugsort für Patienten und Patientinnen sowie das Personal geworden. Viele Mitarbeitende identifizierten sich mit der Kapelle. „Ich habe eine Mitarbeiterin dort getauft und wir haben auch einmal ein Krankenbett hineingeschoben, um die Trauung einer Patientin zu ermöglichen.“
Eva Lorenz war nicht nur Gesprächspartnerin an Krankenbetten, sondern ebenso über viele Jahre Geschäftsführerin des Evangelischen Klinikseelsorge - Teams in Gießen. Dabei hatte sie den Blick auf die ganze Kliniklandschaft in der Stadt, einschließlich der Vitos-Kliniken und des Evangelischen Krankenhauses Mittelhessen. Die Seelsorgerinnen gehören zu den Krankenhäusern, obwohl sie nicht von ihnen bezahlt werden. Das bietetihnen ein hohes Maß an Freiheit. „Von außen zu kommen war für mich immer ein großer Schatz“, sagt Eva Lorenz im Rückblick auf ihre Arbeit.