Pfarrerin Angelika Angerer
Klinikseelsorge im Evangelischen Krankenhaus Gießen
Täglich begegnet sie Menschen, deren Lebensgeschichte durch die Erkrankung oft einen Bruch erlitten hat. Manche müssen sich damit auseinandersetzen, dass ihr Leben anders sein wird als zuvor. Auch Menschen, die sterben, und ihre Angehörigen begleitet sie im Krankenhaus und Hospiz. Mit diesen Menschen ein Stück Weg zu gehen, sieht Angelika Angerer als ihre Aufgabe an.
In Sekunden entscheidet sich, ob es zu einem Gespräch kommt. Oft gewinnen die Gespräche im Krankenhaus eine besondere Tiefe, erzählt Angelika Angerer, bis 2021 Pfarrerin in der Gießener Stephanusgemeinde. Mitunter löst die kurze Nachfrage nach dem Befinden ein intensives Gespräch über existenzielle Sorgen angesichts der plötzlichen, schweren Erkrankung aus. Wird sie vom Pflegepersonal auf einen Patienten aufmerksam gemacht, geht es oft um Krisen, um schwierige Diagnosen, um Tod und Sterben, oder auch um die Trauer von Angehörigen, erzählt die Pfarrerin, die aber auch einfach so an Krankenzimmertüren klopft.
Angelika Angerer (46) hat zwei Töchter und lebt mit ihrer Familie in Lang-Göns. Zunächst studierte sie Heilpädagogik, und später dazu Theologie in Bochum und Wuppertal. 2009 wurde sie Pfarrerin in Ewersbach, nördlich von Dillenburg. 2013 wechselte sie als persönliche Referentin des damaligen hessischen Diakonie-Vorsitzenden, Dr. Wolfgang Gern, nach Frankfurt. Von 2016 bis 2021 war sie Pfarrerin in der der Ev. Stephanus-Gemeinde Gießen.
Schmunzelnd erzählt die Pfarrerin von zögerlichen Reaktionen wie „Ich bin kein Kirchgänger“ oder auch kurzen Schreckmomenten: „Wer hat sie geschickt? Ist es so weit, muss ich sterben?“ Doch sind die meisten Patienten dankbar für die Zuwendung. Spürt sie, dass ein Gespräch ungelegen kommt, zieht sie sich rasch zurück. „Mich kann man rausschmeißen.“, lacht sie.
Viel Vertrauen
Sagt eine Patientin, es gehe ihr eigentlich gut, signalisiert die Pfarrerin mit einer Nachfrage die Ernsthaftigkeit des Gesprächsangebots. Und plötzlich haben viele Menschen etwas zu erzählen. „Mir wird viel Vertrauen geschenkt, mit den Lebensgeschichten und inneren Gedanken, die ausgesprochen werden“, erzählt Angelika Angerer.
Sei es zukünftig mit einem künstlichen Darmausgang leben zu müssen, was eine ungeheure Belastung ist, hier kann die Seelsorgerin durch Zuhören und Nachfragen dabei helfen, alte Stärken zu entdecken, um einen neuen Weg unter den veränderten Bedingungen zu finden.
Oder sei es bei hochbetagten Menschen Prozesse großer Trauer zu erleben, wenn von dem bisherigen aktiven Leben Abschied genommen werden muss, weil sie nach dem Krankenhausaufenthalt nicht mehr nach Hause können, sondern ins Pflegeheim gehen müssen.
"Mancher will seine Angehörigen nicht noch mehr belasten.“
Dass Patienten sich nicht nur um sich selbst, sondern auch um ihre Angehörigen sorgen, nimmt Angelika Angerer häufig wahr. „Patienten überlegen oft gut, wem sie was anvertrauen. Mancher will seine Angehörigen nicht noch mehr belasten.“ Gegenüber der Pfarrerin dürfen sie offen sein. Die Seelsorgerin ist da, wenn Menschen von ihrem nahen Tod wissen und darüber sprechen wollen, was es für sie selbst und für die Angehörigen bedeutet. In diesen Gesprächen darf alles gesagt werden. Auch der Wunsch sterben zu wollen, darf ausgesprochen werden. Mitunter vernimmt sie die Klage, dass Patienten fühlen, nicht sterben zu dürfen, weil andere nicht loslassen können. Und sie erlebt, wie schwer dieser Weg für beide Seiten sein kann.
Seit zwei Jahren ist sie nun schon in der Klinik tätig. Nachhaltig beeindruckt ist die Pfarrerin von den Pflegekräften und dem medizinischen Personal. Angelika Angerer erlebt beides: die hohe Belastung im Gesundheitswesen und die Zugewandtheit, die die Mitarbeitenden trotzdem aufbringen. Gelegentlich hört sie bei ihrem Erscheinen auf einer Station ein Seufzen und den Ausruf eines Mitarbeitenden: „Seelsorge … die könnte ich jetzt auch gebrauchen!“ Auch dafür ist die Klinikseelsorge da.
„Alles was im Leben passieren kann, begegnet einem im Krankenhaus, ganz real“
Dass Leben und Gesundheit für Menschen nur begrenzt verfügbar sind, wird im Klinikalltag besonders greifbar. „Alles was im Leben passieren kann, begegnet einem im Krankenhaus, ganz real“ sagt Angelika Angerer. Trotz manchem Leid und vielfältigen Sorgen, mit denen sie täglich konfrontiert ist, spürt sie das Gefühl der Sinnhaftigkeit ihres Tuns und Zufriedenheit; wenn Menschen sich für die Dauer des Gesprächs geborgen und angenommen wissen, vielleicht sogar einen Schritt weiterkommen. „Es ist ein schönes Gefühl, nach Hause zu gehen und zu denken, was ich heute getan habe, war wertvoll.“