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Adrian Schleifenbaum

Neuer Pfarrer für die Gießener Weststadt

Adrian Schleifenbaum ist Pfarrer in der Stephanusgemeinde in der Gießener Weststadt

Adrian Schleifenbaum (33) ist weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick als evangelischer Pfarrer zu erkennen. Wenn er durch die Gießener Weststadt läuft oder radelt, trägt er einen Leoparden-Blazer, eine Goldkette, ein Basecap und eine Brille, die stark an die Siebziger oder Achtziger Jahre erinnert.

Seit kurzem ist Adrian Schleifenbaum Pfarrer der Evangelischen Stephanusgemeinde, in einem Stadtteil, der längst nicht mehr nur sozialer Brennpunkt ist, sondern sich auch zum auch begehrten Wohnviertel gewandelt hat. Mit Frau und zwei kleinen Kindern ist Adrian Schleifenbaum selbst hierher gezogen, bevor er daran dachte, die Pfarrstelle zu übernehmen. Er kennt den Kontrast zwischen den bürgerlichen Reihenhäusern, den hohen Wohnblocks und den Klinkerbauten auf der ehemaligen Gummiinsel.

Kontrastreiche Weststadt

Hier im Gebiet der Stephanusgemeinde hat die Sozialarbeit des Diakonischen Werks mit der Gemeinwesenarbeit und dem Liebknecht-Haus einen wichtigen Stützpunkt, genauso wie die Tafel und die kirchliche Jugendwerkstatt, deren Mitarbeiter:innen sich für die berufliche und soziale Integration benachteiligter Jugendlicher oder Langzeitarbeitsloser engagieren.

Manches erinnert ihn an den einjährigen Studienaufenthalt im englischen Nottingham, der ihn sehr geprägt hat. „Ich habe dort in einer anglikanischen Kirchengemeinde, in dieser armen, heruntergekommenen Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit gearbeitet.“ Dort war vieles anders. Beispielsweise im Zusammenleben der Menschen. „Das Modell der bürgerlichen Familie gab es da in dem Viertel meiner Gemeinde nicht mehr, die Familien lebten dort alleinerziehend oder im Patchwork-Modell.“

Besonders beeindruckt war er davon, dass in der Gemeinde unterschiedlichste theologische Strömungen zu finden waren - von konservativ-evangelikal bis liberal. „Doch war das völlig egal, denn sie haben sich auf die Themen der Nachbarschaft, auf die konkreten sozialen Nöte der Menschen, eingelassen.“ Da sei nicht mehr darüber gestritten worden, ob man lesbische Paare trauen dürfe, sondern man war mit der Frage beschäftigt, wie die Menschen die Stromrechnung bezahlen können.

Kirche wird in Westeuropa kleiner

In einem traditionellen Pfarrhaus im Westerwald aufgewachsen, wurde er in Nottingham auch mit neuen kirchlichen Verhältnissen konfrontiert. Die Kirche verliert in Westeuropa zunehmend Status und Anspruch, Volkskirche zu sein. Schleifenbaum liebt seinen Beruf, nimmt zugleich wahr, dass die Kirche kleiner wird. In dieser heutigen Form werde es sie in 30 Jahren wohl nicht mehr geben. „Aber, ich habe mich dafür entschieden, nicht weil ich in einem bestimmten, sozial etablierten System arbeiten will, sondern an Gottes Frieden für diese Welt, in unterschiedlichsten Verhältnissen, mitarbeiten möchte.“ Die evangelische Kirche wird weniger Geld, weniger haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende haben. „Wir müssen schauen, wie Kirche trotzdem Spaß macht.“

Besondere Freude macht ihm die Arbeit mit den Kindern in der Kita der Stephanusgemeinde, gemeinsam mit den Erzieher:innen und der Gemeindepädagogin. Sich auf die Kinder einlassen und ihren Erfahrungshorizont wahrnehmen. Für den jungen Pfarrer ist das programmatisch. „Ich habe mich von der Vorstellung verabschiedet, dass wir für die Menschen Angebote planen und anbieten, ohne ihre Bedürfnisse zu kennen und zu berücksichtigen.“

„Wir haben einen Veränderungsdruck"

Seine Antwort auf den Mitgliederschwund der Kirchen: „Wir haben einen Veränderungsdruck, nicht die Leute, die fern bleiben.“ In der anglikanischen Kirche gibt es ein geflügeltes Wort: „Wir haben die Mitglieder in Scharen verloren, wir können sie nur als Einzelne zurückgewinnen.“ Deswegen sei er gerne in die Vorbereitungen eines eher unkonventionellen Tauffestes an Himmelfahrt eingestiegen. Alle evangelischen Eltern in und um Gießen sind mit einer liebevoll gestalteten Karte eingeladen worden.

Dass die Evangelische Kirche mit dem Tauffest gewohnte Räume verlässt, ist für ihn zukunftsweisend. Denn bald wird die Kirche über weniger Gebäude verfügen. Vielleicht ist sie dann selber häufiger Gast als Gastgeber, überlegt Adrian Schleifenbaum. Wer nicht immer nur in seine eigenen Räume einlädt, gibt damit auch Prestige und den Status eines Raumbesitzers ab. „Dann machen wir eben Konfi-Stunde im McDonald!“, fügt er schmunzelnd hinzu.

"Die einstige gesellschaftliche Relevanz kehrt nicht wieder"

Was ihm so salopp und zugespitzt über die Lippen geht, sind Erkenntnisse seines Theologiestudiums und der sich anschließenden wissenschaftlichen Forschung, an deren Ende eine erfolgreiche Doktorarbeit stand. Sein Interesse an Theologie bringt er auf einen Satz: „Ich mag gerne dem Wirken Gottes auf die Spur kommen.“ In seiner Abschlussarbeit wie auch in der Promotion hat er über den Wachstumsbegriff der Kirche nachgedacht. Seine populär wie nüchtern formulierte Erkenntnis: „Wir werden die klassischen Gottesdienste nicht mehr vollkriegen.“ Die gesellschaftliche Relevanz der Kirche in den Sechziger und Siebziger Jahre wird nicht wiederkehren, sie entspricht dem inzwischen in Wirtschaft und Gesellschaft überholten Wachstumsdenken der Nachkriegszeit.

Ordination im Mai

Nun hat Adrian Schleifenbaum die Möglichkeit, seine theoretischen Erkenntnisse an der kirchlichen Wirklichkeit in der Weststadt zu überprüfen. Seit kurzem ist er Gemeindepfarrer, wenngleich seine offizielle Einführung bzw. überhaupt die Ordination in das Pfarramt wegen Corona auf Mitte Mai verschoben wurde.


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